Glück im Glas

Wie man Dankbarkeit lernen kann

„Dankbarkeit kann mich mal“, sagte neulich eine Freundin zu mir. Und ich kann sie gut verstehen. Es gibt Momente und Phasen im Leben, da braucht man nichts weniger als einen Menschen, der einem sagt: „Schau doch mal, was du alles hast. Andere würden gern mit dir tauschen!“ Solche Kommentare lassen den Berg des Elends oftmals noch größer erscheinen. Sich mit anderen zu vergleichen macht ohnehin nicht glücklich, egal, in welche Richtung man schaut. Und wenn etwas richtig schmerzt, dann schmerzt es eben. Wenn man eine geliebte Person durch Tod oder Trennung verloren hat, dann wiegt auch die Tatsache, dass der Kühlschrank voll ist, man ein neues Paar Schuhe erworben hat oder die letzte Präsentation gar nicht so schlecht gelaufen ist, das Leid nicht auf.

Und trotzdem (jetzt kommt das große ABER) ist es keine verlorene Müh‘, Dankbarkeit zu üben, auch für die kleinen Dinge im Leben. Und ich weiß, wovon ich spreche. Denn momentan läuft vieles in meinem Leben alles andere als blendend und das Elend geht weit über mein derzeit gebrochenes Bein hinaus. Und ich sage euch, es ist kein Zufall, dass ich diesen Artikel genau jetzt schreibe. Denn genau jetzt ist es wichtig, zu erkennen, was gut läuft.

Wir haben über viele, viele Jahre trainiert, uns auf das zu fokussieren, was nicht funktioniert in unserem Leben. Dabei lassen wir außer Acht, dass das Leben nie perfekt sein wird, wir nie in allen relevanten Bereichen (Gesundheit, Job, Selbstverwirklichung, Familie, Liebe…) all das haben werden, was wir glauben zu brauchen. Und nicht nur, dass wir unrealistische Erwartungen an das Glück haben – wir glauben auch, dass wir nur glücklich sein können, wenn unsere Bedürfnisse und Wünsche in genau der Form erfüllt werden, wie wir es uns ausgemalt haben. Dabei ist es oft ein großes Glück nicht zu bekommen, was man will. Wie oft zeigt sich im Nachhinein, dass sich die Dinge doch positiv gefügt haben, es manchmal eben doch gut war, nicht diese oder jene Beziehung weitergeführt, das Haus gekauft oder die lang ersehnte Reise angetreten zu haben.

Und weil Studien zeigen, dass die Fähigkeit, Dankbarkeit zu empfinden, uns glücklicher macht, möchte ich euch einen treuen Begleiter vorstellen: Mein Glücksglas. Immer, wenn ich etwas Schönes, Besonderes, Überraschendes erlebe, schreibe ich es auf einen kleinen Zettel und stecke diesen in ein Glas. Manchmal sind es nur Zitate, Musiktipps oder Kleinigkeiten wie „Regenbogen gesehen“, die in dem Glas landen. Doch auch – oder gerade – durch das Wahrnehmen und Aufschreiben dieser „Kleinigkeiten“ lerne ich, meinen Fokus auf das zu richten, was gut läuft im Leben. Und wenn ich einen schlechten Tag habe, schaue ich mir ein paar Zettelchen nochmal an und freue mich über all die kleinen Glücksmomente. Und weil ich im Moment vor allem aufgrund meines gebrochenen Beins Zeit habe, diesen Artikel zu schreiben, kommt auch das in mein Glas: „Bein gebrochen. Mehr Zeit zum Schreiben.“  So einfach geht Glück.

 

Stop. Look. Go.

Ein Halbjahresrückblick

Oh oh. In weniger als sechs Monaten ist Weihnachten. Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber an mir sind die letzten sechs Monate trotz bewusster Entschleunigung nur so vorbeigerauscht. Ist aber nicht schlimm, weil die Zeit zwar intensiv, aber dafür auch wahnsinnig spannend war. Dennoch liegt es mir am Herzen, zumindest einen kurzen Moment inne zu halten, bevor es mit Volldampf in die zweite Jahreshälfte geht.

In meinem Kalender stehen drei weise Worte: STOP – LOOK – GO. Kennen wir alle vom Straßeüberqueren. Nichts Besonderes mag man denken. Anhalten, gucken, losgehen. Kinderspiel. Dennoch machen wir genau das viel zu selten. Jeden Tag überqueren wir vielbefahrene Straßen – im übertragenen Sinn. Das Leben rauscht mal an uns vorbei und mal mit uns von einem Punkt zum anderen. Bei der Arbeit stehen wir unter Zeitdruck, den Feierabend haben wir durchgeplant und im Urlaub machen wir am besten einen Roadtrip mit täglich wechselnden Aktivitäten und Zielen. Unser Leben ist hoch getaktet. Und das liegt sowohl an uns als Individuen als auch an den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.

London

Anhalten liegt den meisten von uns nicht. Erst wenn ein großes Hindernis uns den Weg versperrt, wir krank oder unglücklich werden oder uns ein Schicksalsschlag umwirft, merken wir: Jetzt ist mal Pause. Weise Menschen meinen: „Scheue dich nicht davor, langsam zu gehen. Scheue dich nur davor, stehen zu bleiben!“ Ich bin da anderer Meinung. Ich halte stehenbleiben für lebensnotwendig. „Auch die Pause gehört zur Musik“, ein Zitat von Stefan Zweig, finde ich wesentlich hilfreicher.

Und genau deswegen möchte ich euch dazu ermutigen, die Mitte des Jahres zu nutzen, um stehen zu bleiben – einen kleinen Moment – und zurückzublicken auf die vergangenen sechs Monate. Und nach vorne zu schauen auf die kommenden Monate. Und dabei wieder das Hier und Jetzt, eure eigene, goldene Mitte zu finden, durchzuatmen und euch bewusst zu werden, was wirklich wichtig ist für euch – nur für euch!

Vielleicht helfen euch die folgenden Fragen. Ich selbst habe es als sehr erhellend und befreiend empfunden, mir gemütlich und in Ruhe Antworten zu überlegen und diese aufzuschreiben. Los geht’s passend zum Juli, dem Monat der Sonne und Wärme, mit Fragen zur goldenen Mitte:

  • In welchen Situationen in den letzten sechs Monaten hattest du das Gefühl, ganz in deiner Mitte angekommen zu sein?
  • Mit welchen Menschen hast du dich besonders wohl gefühlt?
  • In welcher Umgebung fühlst du dich angekommen/wohl/zuhause? In welcher Umgebung ruhst du in dir?
  • Was war in den letzten sechs Monaten das Gold/der Schatz in deinem Leben?
  • Auf was oder wen möchtest du nicht verzichten?
  • Hattest du Ziele für dieses Jahr? Wenn ja: Welche und hast du diese schon verwirklichen können?
  • Was waren die größten Herausforderungen der letzten sechs Monate?
  • Was waren deine größten Erfolge?
  • Wofür bist du besonders dankbar?

Und nun zum Ausblick:

  • Was oder wen möchtest du loslassen? Falls es dir schwerfällt: Was hält dich an der Sache oder Person?
  • Was wolltest du schon immer mal machen?
  • In welchen Bereichen möchtest du dich verändern? Hast du schon konkrete Pläne, wie du die Veränderung umsetzen kannst?
  • Mit welchen Menschen möchtest du mehr Zeit verbringen?
  • Welche Orte möchtest du besuchen?
  • Was möchtest du bis zum Ende des Jahres erreicht haben?
  • Welche Herausforderungen erwartest du und wie möchtest du mit diesen umgehen?
  • Wie könntest du dich mehr um dich kümmern, Stress entgegenwirken und freundlicher mit dir selbst sein?
  • Was ist dein größter Wunsch für 2018?

So. Ich hoffe, euch helfen diese Fragen beim Sortieren und Durchatmen. Ich wünsche einen guten Start in die zweite Jahreshälfte!

 

„Es soll sich regen, schaffend handeln,

Erst sich gestalten, dann verwandeln;

Nur scheinbar steht’s Momente still.

Das Ew’ge regt sich fort in allen:

Denn alles muß in Nichts zerfallen,

Wenn es im Sein beharren will.“

Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)

 

 

Empört euch – aber hört auf zu jammern!

So, nu werd ich auch ma politisch. Wir sind also ein „Armes Deutschland“. Das meint mittlerweile nicht mehr nur RTLII. Auch öffentliche-rechtliche Leitmedien (oder Leidmedien?) erzählen uns, wie fürchterlich schlimm das Leben in Deutschland sein kann. Und sie haben Recht: Es gibt Altersarmut, es fehlen Kitaplätze, nicht jedes Studium ist jedem zugänglich, das Gesundheitssystem kränkelt an allen Ecken und Enden, die Kluft zwischen Arm und Reich wird größer usw. ABER wer dieses Land verlassen hat und sich mit offenen Augen angeschaut hat, was um uns herum auf der Welt passiert, wird erkennen: uns geht es verdammt gut!

Natürlich ist es wichtig, Missstände zu erkennen, sich zu engagieren und die Welt ein Stückchen besser zu machen. Dazu gehören auch Kritik und Wut und Unwohlsein und Empörung und ein Gefühl für Ungerechtigkeit. Aber ich halte es für genauso wichtig, auch das Gute zu sehen.

Deutschland diskutiert über Glasfaserkabel, während Millionen Menschen auf der Welt verhungern oder verdursten. Wir sind eines der reichsten Länder der Welt, haben Strom und Wasser und Jobs für (fast) alle. Wir dürfen und können zur Schule gehen und wenn wir clever genug sind, auch zur Uni. Wir sind krankenversichert, haben beleuchtete und befestigte Straßen und haben die Möglichkeit, Hilfe von Psychotherapeuten anzunehmen.

Ich habe in einigen Ländern gelebt und kann mit Sicherheit sagen: In keinem dieser Länder war das Leben so gut wie in Deutschland. In Südfrankreich hat mich die Arbeitslosigkeit erdrückt, in England hatten wir keine Zentralheizung, in Österreich ist Psychotherapie kostenpflichtig, in Australien werden Zahnbehandlungen nicht von den Kassen bezahlt und über Ruanda wollen wir gar nicht reden…

Wir Deutschen haben das Nörgeln gepachtet. In Bayern gibt es sogar Radiosendungen nur über das Granteln. Als Teeny hätte ich gesagt: „Da kann ich gar nicht so viel essen, wie ich kotzen könnte!“ Es muss doch auch mal gut sein mit jammern. Ich weiß, wir haben das jahrelang so gemacht. Uns immer darauf konzentriert, was uns fehlt. Es ging um ständige Optimierung. Alles muss immer besser werden: Der Lebenslauf, der Job, die Gesundheit, der Körper, die Beziehung, die Politik, das System, das Land. Aber glaubt mir: Glücklicher werden wir alle nur, wenn wir auch mal in die Ferne schauen und sagen können: Es ist gut so, wie es ist.

Dünne Haut und weise Seele

Hochsensibilität als Herausforderung und Chance

Du fühlst dich in großen Menschenmassen unwohl? Du spürst, wenn dein Gegenüber nicht aufrichtig ist? Du bist besonders geräusch- oder geruchsempfindlich? Deine Mitmenschen nennen dich „Sensibelchen“ oder finden dich kompliziert? Du leidest, wenn andere leiden? Dann könnte es sein, dass du hochsensibel bist.

Doch was bedeutet Hochsensibilität? Zunächst ist klarzustellen: Es handelt sich dabei nicht um eine psychische Störung und erst recht nicht um eine Krankheit. Experten bezeichnen das Phänomen als besondere Art der Reizverarbeitung, als Persönlichkeitsmerkmal. Betroffene nehmen Sinnesreize stärker wahr und verarbeiten diese tiefer als der Durchschnitt der Bevölkerung.

Die amerikanische Psychologin Elaine Aron näherte sich in den 1990er Jahren erstmals dem Thema Hochsensibilität mittels Fragebögen. 1996 veröffentlichte sie ihre Forschungsergebnisse in dem Buch „The Highly Sensitive Person“ (Abkürzung: HSP, dt.: Die hochsensible Person). Das Fachbuch wurde in 70 Sprachen übersetzt und gilt als Standardwerk zu diesem Thema. Aron ist davon überzeugt, dass rund 20 Prozent der Menschheit empfindsamer sind als der Rest. Rund 30 Prozent seien davon extrovertiert, der Rest in der Regel eher introvertiert.

Positives Umfeld ist wichtig

Hochsensibilität ist zwar keine psychische Erkrankung, so Elaine Aron. Das bedeute jedoch nicht, dass hochsensible Menschen immer seelisch gesund seien. Die intensive Wahrnehmung der Außenwelt könne durchaus zu psychischen Belastungen oder sogar zu Erkrankungen führen. Während hochsensiblen Menschen ein positives Umfeld ungleich besser tue als anderen, schade ihnen ein negatives, kräftezehrendes Umfeld wesentlich mehr als anderen Menschen, so die Psychologin. So sei es nicht verwunderlich, dass die Energievorräte von überdurchschnittlich sensiblen Personen schneller aufgebraucht seien und sie sich schneller müde und überreizt fühlten.

Doch Hochsensibilität hat auch Vorteile. Hochsensible Menschen sind in der Regel nicht nur wacher und empathischer, sondern analysieren sich und ihre Umwelt sehr genau. Sie sind außerdem gut darin, vernetzt zu denken, kreativ zu arbeiten und neue Lösungsstrategien und Geschäftsfelder zu entdecken. Aron zufolge falle es vor allem Männern häufig schwer, zu Ihrer Sensibilität zu stehen. Dabei seien gerade die Fähigkeiten von Hochsensiblen in unserer Gesellschaft so dringend von Nöten, vor allem in Führungsposition.

Besonders oft seien Hochsensible in Medienberufen vertreten. Hier finde man laut Aron vermehrt die so genannten High-Sensation-Seekers: Menschen, die ständig nach Sensationen und Abenteuern suchen. Zwar seien Hochsensible nicht unbedingt risikofreudiger als der Durchschnitt der Bevölkerung, doch langweilten sie sich schneller, schauten Filme nicht gern zweimal und ärgerten sich eher über oberflächliche Gespräche. So balancieren sie ständig auf einem schmalen Grad zwischen Langeweile und Reizüberflutung.

Drei Arten der Hochsensibilität

Besondere Sensibilität kann sich sehr unterschiedlich äußern. Fachleute unterscheiden zwischen drei Formen: der sensorischen, der emotionalen und der kognitiven Hochsensibilität.

Sensorisch hochsensible Menschen besitzen eine besonders feine Sinneswahrnehmung, nehmen beispielsweise Töne, Gerüche und Geschmacksrichtungen besonders intensiv wahr. Diese Eigenschaft kann jedoch auch leicht zu Reizüberflutung führen.

Emotional hochsensible Menschen reagieren besonders auf Feinheiten im zwischenmenschlichen Bereich und verfügen über große Empathie. Sie sind häufig sehr mitfühlend, hilfsbereit und können aufmerksam zuhören. Oft reagieren sie stärker auf nonverbale Kommunikation als auf verbale. Ihr feines Einfühlungsvermögen kann aber auch mit sich bringen, dass sie die Stimmungen ihrer Mitmenschen ungefiltert aufnehmen und sich von diesen überfordert fühlen.

Kognitiv hochsensible Menschen können komplexe Zusammenhänge besonders gut erkennen und sind zu multiperspektivischem Denken fähig. Sie haben ein starkes Gefühl für Werte und für „Wahr oder Falsch“. Sie neigen zu Perfektionismus und geraten oft in Schwierigkeiten, wenn ihr komplexes Denken ihren Alltag – vor allem im Berufsleben – erschwert.

Viele Hochsensible fühlen sich erleichtert, wenn sie herausfinden, dass sie selbst auf einem oder mehreren dieser Gebiete intensiver empfinden als der Durchschnitt der Bevölkerung. Sich seiner eigenen Persönlichkeit bewusst zu werden und die Hochsensibilität zu benennen, hilft vielen dabei, Grenzen klarer zu setzen und ein gesünderes, glücklicheres Leben zu führen. So kann Hochsensibilität als Geschenk angenommen werden.

 

Weitere Infos findet ihr hier:

http://www.hochsensibel-test.de/
http://www.psychologie-heute.de/selbsttest

http://www.sueddeutsche.de/leben/hochsensibel-leben-ohne-filter-im-kopf-1.3768484
https://www.elephantjournal.com/2015/06/traits-of-an-empath-how-to-recognise-one/
https://www.zeit.de/community/2014-08/hochsensibel-empfindsam-erfahrung

Parlow, Georg (2015): Zart besaitet: Selbstverständnis, Selbstachtung und Selbsthilfe für hochsensible Menschen. 4. Auflage. Festland Verlag.

Rohleder, Luca (2017): Die Berufung für Hochsensible: Die Gratwanderung zwischen Genialität und Zusammenbruch. 4. Auflage. Dielus Edition.

Zwischen Fluch und Segen

Über das Geschenk der Hochsensibilität

Hochsensibel? Nee Quatsch, ich doch nicht! Auf die Idee, besonders sensibel zu sein, war ich 32 Jahre meines Lebens nicht gekommen. Als „herzlich pöbelig“ oder „forsch freundlich“ haben mich Freunde oft bezeichnet. Und ich mochte das. Und dachte, ich hätte mich damit gut arrangiert.

Bis ich eines Tages einen besonderen Menschen traf, der mir sagte: „Du lebst nicht dein Leben. Du solltest deine Sensibilität annehmen!“ Auch wenn mein Kopf sagte: „Nee nee, die Mauer um meine Seele bleibt schön da, wo sie ist“, wusste ich tief im Herzen, dass er Recht hat. Die Begegnung beschäftigte mich wochenlang. Genauer gesagt: Sie brachte mich völlig aus dem Konzept. Nur mit Mühe konnte ich in dieser Zeit meinem neuen Job als PR-Beraterin nachgehen. Unzählige Fragen und verwirrende Gefühle bohrten sich in mein Bewusstsein. Durch die Risse in meinem Verstand drang ein ungewohntes Licht.

Schön war das nicht. Viel mehr war es beängstigend, dem „Ich“ dabei zuzuschauen, wie es langsam bröckelt. Wie das, was war, nichts mehr hält. Mein Umfeld hatte mir schon lange Anzeichen gegeben. Kein Wink mit dem Zaunpfahl, sondern gleich mit dem ganzen Zaun. Ich war schon lange krank. Ich hatte konsequent immer und immer wieder mein Bauchgefühl ignoriert. Hatte mehrfach Jobs angekommen, die nicht richtig für mich waren, die mir Magenschmerzen verursachten. War mit einem Menschen zusammengezogen, der meiner Seele nicht gut tat, weil er meine Grenzen nicht achtete. War Beziehungen und Freundschaften eingegangen, die mich meine letzten Kräfte kosteten…

Da stand ich also – mit der Erkenntnis, dass es so nicht weiter geht. Und ich hatte keinen blassen Schimmer, auf was ich mich noch verlassen konnte. Mein Ehrgeiz brachte mich nicht weiter. Meine Leidenschaft für bestimmte Themen auch nicht. Meine Liebe zu anderen Menschen ebenso wenig. Und erst recht nicht das, was ich als „Ich“ bezeichnete.

Ich könnte jetzt sagen: Ich habe mir Hilfe gesucht. Aber das war gar nicht der Fall. Die Hilfe kam zu mir, indem ein Freund mir ein Berufscoaching empfahl. Und wie das Schicksal so wollte, war die Coachin, die ich wiederum durch Zufall fand, auch hochsensibel, ebenso wie der erwähnte Mann, der mir das Wanken in meinem Leben so deutlich machte. Eine Sache ergab die andere: Auf das Coaching folgte ein Aufenthalt in einer Klinik für chinesische Medizin, es folgten Berufsberatungen, spirituelles Coaching und zahlreiche Erfahrungen mit Körpertherapie, Hypnosetherapie, Meditation, Tanzmeditation und vielen weiteren Erfahrungen im psychologischen, gesundheitswissenschaftlichen, spirituellen, körpertherapeutischen und sportlichen Bereich.

Ich begann, mich intensiv mit meinen Gefühlen auseinanderzusetzen, und zwar mit allen. Auch mit denen, die ich verdrängt hatte wie Wut und Trauer. Ich wurde sensibler, was meine eigene Körper- und Gefühlswahrnehmung anging. Bestimmte Fragen tauchten dabei immer wieder auf: Wie und wann kann und darf ich Grenzen setzen? Welches Umfeld, welche Menschen tun mir gut? Wie finde ich den Job, der mich erfüllt und mich nicht überlastet? Bin ich wirklich anders, sensibler als andere und wie gehe ich damit um? Warum ziehe ich bestimmte Menschen an?

Auf manche dieser Fragen habe ich Antworten gefunden, andere arbeiten noch in mir. Ich habe gelernt, mich von bestimmten Menschen zu distanzieren, mich wiederum anderen gegenüber zu öffnen. Ich habe gelernt, ein Umfeld, das sich nicht gut anfühlt zu verlassen oder meine Bedürfnisse klarer zu kommunizieren. Und ich habe gelernt, dass sensibel zu sein und trotzdem ein offenes Herz zu haben, in unserer Gesellschaft nicht immer einfach ist. Ebenso habe ich aber auch wahrgenommen, dass diejenigen, die gelernt haben, auf dem Instrument ihrer Gefühle zu spielen, den Klang der Welt zum Positiven verändern können.

Und manchmal bin ich auch einfach gern forsch und pöbelig. Wie Harry Potters Freund Hagrid, der grantige Halbriese, der zwar beängstigend wirkt, aber doch ein treuer, gutmütiger Begleiter ist. Und das ist es doch was zählt, oder? Dass wir eine gute Seele haben und füreinander da sind. Ob hochsensibel oder nicht.

Der Regen, die Blume und ich

Vom achtsamen Fotografieren

Es gibt viele Gründe, warum ich das Fotografieren liebe. Doch ein Grund lässt mein Herz höher schlagen und mich immer wieder, auch nach längerer Fotoabstinenz, zur Kamera greifen: Es ist die Fähigkeit der Kamera, mich ins Hier und Jetzt zu ziehen. Wenn ich fotografiere, sehe ich, fühle ich, spüre ich das, was um mich herum passiert. Natürlich denke ich auch mal an das eine oder andere – daran, ob ich das Auto auch abgeschlossen habe oder wann ich die Steuererklärung wohl endlich abgebe. Aber diese Gedanken währen nur kurz. Größer ist der Sog in die Gegenwart, die so viel spannender ist. Und dabei ist gar nicht von Bedeutung, ob ich Menschen, Gebäude oder Blumen fotografiere. Was zählt, ist alles, was da ist. Schön oder hässlich, langweilig oder spektakulär. Von achtsamer Fotografie ist dabei oft die Rede. Dabei versucht man:

  • im Hier und Jetzt zu sein
  • das Objekt in Ruhe und mit Aufmerksamkeit zu betrachten
  • alle Sinne einzubeziehen
  • die eigenen Gefühle wahrzunehmen
  • nicht zu bewerten, weder das Objekt noch das entstandene Bild
  • mit dem Ergebnis zufrieden zu sein

Wer achtsam fotografieren möchte, dem kann ich empfehlen, das Fotografieren (wie auch das Leben) zunächst einmal zu entschleunigen. Zeit ist wie so oft im Leben der Nährboden für Schönes. Daraus ergibt sich vieles andere. Wer früher analog fotografiert hat, weiß vielleicht noch, wie es war, erst eine Beziehung zu seinem Objekt aufzubauen, sich Zeit zu lassen, die Situation zu erspüren. Die achtsame Fotografie ist quasi eine Rückbesinnung auf diese Art der Wahrnehmung. Und wie kann man besser entschleunigen und erspüren als in der Natur? Also los geht’s – auf in den Wald!


„Deep in their roots all flowers keep the light.“ 
(Theodore Roethke)

 

Der Platz zwischen uns

Über ein ganz besonderes Schreibseminar im Herzen Frankreichs

Ein Schreibseminar sei es eigentlich gar nicht, dieses Schreibseminar. Aber was es eigentlich sei, könne sie gar nicht genau sagen. Es sei anders. Überraschend anders.

Amy Hollowell – franko-amerikanische Journalistin, Autorin und Lyrikerin – sollte ursprünglich gar nicht hier sein, hier in Dechen Chöling, einem abgelegenen Shambhala-Meditationszentrum in der Nähe von Limoges. Ein Seminar mit dem Titel „Fearless Creativitiy“ war angekündigt. Vier Tage meditieren und schreiben im Wechsel – ohne Angst, Hektik, Erwartungsdruck. Susan Piver, amerikanische Bestsellerautorin und Meditationslehrerin, sollte es anleiten. Doch Susan brach sich den Fuß und konnte nicht reisen. So bekam Amy einen Anruf, als sie gerade mit ihrem Mann den gemeinsamen Sohn in Ecuador besuchte. Ob sie kurzfristig einspringen könne. In einer Woche würde ein Seminar in Frankreich stattfinden, sie hätte doch schon zahlreiche Schreibseminare gegeben. Sie zögerte, erzählt sie, zu spontan sei das Ganze gewesen. Und dann entschied sie sich doch dafür.

Ob durch Schicksal, Glück oder Zufall zusammengeführt: Nun sitzen wir hier in einem großen Meditationssaal in einem französischen Steinhaus, das von wildwachsenden Büschen und Blumenbeeten umgeben ist. 14 Frauen und Männer aus den USA, Ecuador, Frankreich, Deutschland und vielen anderen Ländern der Welt sitzen im Kreis auf dunkelblauen Meditationskissen. Die Decken des Raumes sind hoch, die Wände hell und rauh, in der Mitte des Raumes hängt ein Portrait von Sakyong Mipham Rinpoche, dem spirituellen Lehrer. Der Boden ist bedeckt mit Tüddel: Stiften, Notizbüchern, Schals, Postkarten und Büchern von englischen Literaten oder den Koryphäen des Haiku-Schreibens. Vier Tage liegen hinter uns. Vier Tage, die so voll, so intensiv, so emotional waren, wie man es sich kaum vorstellen kann. Wir lassen die Zeit nochmal Revue passieren.

Um 7 Uhr beginnt jeder Tag mit einer Morgenmeditation. Nicht nach Shambhala-Tradition. Amy ist Zen-Lehrerin. Aber das nimmt sich nicht viel. Die Gehmeditation ist langsam, sehr langsam. Dafür ist die Stille die Gleiche. Und das Selbst, von dem wir uns lösen sollen. Auf die Meditation folgen Schreibübungen. Erst kurze. Einfache. Die uns an die Hand nehmen und in die Welt des Herzens und des Schreibens führen. Alles auf Englisch. Die erste Übung: Wir sollen den Satz „For me, writing is…“ vervollständigen. Immer wieder. Dabei entstehen kleine gedichtähnliche Kunstwerke aus Worten. Nach jeder Übung lesen wir unsere Werke vor. Ein Satz bleibt hängen: „For me, writing is the place where we meet.” Ich bin berührt. Genau das ist es! Ja, da liegt’s, würde Hamlet sagen. „The place, where we meet.” Das Geschriebene lässt uns einander näherkommen, einander berühren, einander verstehen.

Welche tiefe Wahrheit in diesem Satz liegt, soll uns bald bewusstwerden. Schon nach wenigen Stunden fühlen wir uns als eine Einheit, verbunden, vertraut. Neben den sehr persönlichen Texten ist dafür vor allem eines entscheidend: Wir bewerten nicht. Weder unsere eigenen Texte noch die der anderen. Und kommentieren auch nicht. Eine Person liest vor, die anderen schweigen. Ungewohnt für mich als Journalistin. Bin ich doch gewohnt, dass Texte in der Luft zerrissen werden. Auf einmal ist da nur Stille. Dafür werden im Kopf die Fragen lauter: Was denken die anderen? War das gut genug? Oder zu persönlich? Darf man das so sagen?

Wir nehmen die Zweifel an und schreiben weiter. Eine Übung folgt auf die andere. Die Texte werden länger, komplexer. Wir schreiben Gedichte und Portraits, versuchen uns an Haikus und verfassen zwischendurch Tagebucheinträge. Draußen prasselt meist der lauwarme Frühsommerregen auf die Blätter der Pflanzen. Die Vögel zwitschern laut. Manchmal ertönt ein Gong. Die Zeit verfliegt. Die Stifte fliegen übers Papier. An eine Regel erinnert uns Amy immer wieder: Der Stift darf nie ruhen. Wir schreiben das auf, was kommt. Nicht, was wir für schön oder gut halten. Es sei als würden wir den Geist schütteln und aufschreiben, was rausfällt, sagt Amy. Alles ist wichtig. Eine Lehre des Zen.

Bei jedem Vorlesen lernen wir mehr und mehr voneinander. „Ich habe das Gefühl, völlig verletzbar zu sein“, sagt eine der Teilnehmerinnen am Abend bei einer Abschlussrunde. So geht es mir auch. Nicht nur der Duft der Räucherstäbchen, auch die Emotionen erfüllen den Raum. So ist das wohl, wenn man mit dem Herzen schreibt, denke ich mir. Bis 21 Uhr schreiben, lesen und meditieren wir. Die Tage sind lang. Gegen 22 Uhr fallen wir müde ins Bett. Diejenigen, die sich Zimmer teilen, erzählen sich noch kleine Geschichten oder lesen sich etwas vor. Es ist wie mit 16 in der Jugendherberge. Nur schöner. Erwachsener eben.

Nun sitzen wir wieder zusammen. Ein letztes Mal. Wir sind wehmütig. Nie wieder werden wir zusammen in diesem Raum sitzen und meditieren. Das Hier und Jetzt leben. Darum geht es im Zen. In diesem Moment gelingt uns das nicht ganz. Zu schwer fällt es, diesen Ort der Ruhe und die neu gewonnenen Freunde wieder verlassen zu müssen. Man soll gehen, wenn es am schönsten ist, denke ich mir. Das seien die vier bewegendsten Tage ihres Lebens gewesen, sagt eine Psychologin, die an dem Kurs teilnimmt. Ein paar von uns haben Tränen in den Augen. Eigentlich wollte sie gar nicht kommen, erzählt Amy. Zu stressig. Doch nun sei sie unendlich dankbar. So viel sei die letzten Tage passiert. „Das war nicht nur ein Schreibseminar“, sagt sie. Es war so viel mehr.

Auch ich bin gerührt. Und blättere noch einmal durch mein vollgeschriebenes Notizbuch. Ich habe wieder begonnen zu schreiben. Und das auf Englisch. Was hatte ich für Zweifel. Jetzt bin unbeschreiblich dankbar. Ich habe erfahren dürfen, welche Kraft in Worten steckt. Dass durch sie Menschen zu Freunden werden können. Dass man mit dem Herzen statt mit dem Kopf schreiben kann. Dass die Worte einen Platz schaffen für Vertrautheit und Verbindung. Dass genau dieser Ort mein Zuhause ist.


To study the way is to study the self
To study the self is to forget the self
To forget the self is to be enlightened by the 10,000 things.

(Dogen)

 

 

 

Skaten in der Surrealität

„Keiner ist so verrückt, dass er nicht einen noch Verrückteren findet, der ihn versteht“, hat schon Friedrich Nietzsche gesagt. Und hatte Recht. Die Welt braucht Verrücktheit. Sie braucht Menschen, die den Mut haben, Sie selbst zu sein und Neues zu erfinden. Und weil man sich als Fotografin und Journalistin über jeden Wahnsinn freut, war ich sehr dankbar, als ich an einem Ort der Verrücktheit fotografieren durfte. An einem heißen Sommertag zog es mich nach Odonien, einen surrealen Skulpturenpark mitten in Köln. Der Künstler Odo Rumpf hat hier aus alten Autos, Schaufensterpuppen und allerlei Gedöns eine eigene verrückte oder entrückte Welt geschaffen, die als Schauplatz dient für wilde Elektroparties, Konzerte und allerlei Events wie das Surf and Skate Festival.

Weitere Bilder folgen…

Das Meer ruft

Neulich musste ich einfach mal raus. Ans Meer. Den Kopf frei bekommen, wie man so schön sagt. Die Gedanken etwas entknoten. Also fuhr ich mit einer guten Freundin in die Niederlande. Und wo wir so in Scheveningen bei Den Haag am Pier standen und aufs Meer schauten, fiel mir eine Geschichte ein, die ich vor einiger Zeit gelesen hatte. Eine dieser Wandergeschichten, die sich immer weitertragen, weil sie so schön und so wahr sind. Hier kommt sie:

Eine kleine Geschichte vom Fischer

Ein Investmentbanker stand in einem kleinen mexikanischen Fischerdorf am Pier und beobachtete, wie ein kleines Fischerboot mit einem Fischer an Bord anlegte.

Er hatte einige riesige Thunfische geladen. Der Banker gratulierte dem Mexikaner zu seinem prächtigen Fang und fragte, wie lange er dazu gebraucht hatte.

Der Mexikaner antwortete: Ein paar Stunden nur. Nicht lange.

Daraufhin fragte der Banker, warum er denn nicht länger auf See geblieben ist, um noch mehr zu fangen.

Der Mexikaner sagte, die Fische reichen ihm, um seine Familie die nächsten Tage zu versorgen. Der Banker wiederum fragte: Aber was tun Sie denn mit dem Rest des Tages?

Der mexikanische Fischer erklärte: Ich schlafe morgens aus, gehe ein bißchen fischen, spiele mit meinen Kindern, mache mit meiner Frau Maria nach dem Mittagessen eine Siesta, gehe ins Dorf spazieren, trinke dort ein Gläschen Wein und spiele Gitarre mit meinen Freunden. Sie sehen, ich habe ein ausgefülltes Leben.

Der Banker erklärte: Ich bin ein Harvard-Absolvent und könnte Ihnen ein bisschen helfen. Sie sollten mehr Zeit mit Fischen verbringen und mit dem Erlös ein größeres Boot kaufen. Mit dem Erlös hiervon wiederum könnten Sie mehrere Boote kaufen, bis Sie eine ganze Flotte haben. Statt den Fang an einen Händler zu verkaufen, könnten Sie direkt an eine Fischfabrik verkaufen und schließlich eine eigene Fischverarbeitungsfabrik eröffnen. Sie könnten Produkte, Verarbeitung und Vertrieb selbst kontrollieren. Sie könnten dann dieses kleine Fischerdorf verlassen und nach Mexiko City oder Los Angeles und vielleicht sogar New York City umziehen, von wo aus Sie dann Ihr florierendes Unternehmen leiten.

Der Mexikaner fragte: Und wie lange wird dies alles dauern?

Der Banker antwortete: So etwa 15 bis 20 Jahre

Und was dann?

Der Banker lachte und sagte: Dann kommt das Beste. Wenn die Zeit reif ist, könnten Sie mit Ihrem Unternehmen an die Börse gehen, Ihre Unternehmensteile verkaufen und sehr reich werden. Sie könnten Millionen verdienen.

Millionen. Und dann?

Der Banker sagte: Dann könnten Sie aufhören zu arbeiten.
Sie könnten in ein kleines Fischerdorf an der Küste ziehen, morgens lange ausschlafen, ein bisschen fischen gehen, mit Ihren Kindern spielen, eine Siesta mit Ihrer Frau machen, in das Dorf spazieren, am Abend ein Gläschen Wein genießen und mit Ihren Freunden Gitarre spielen.

Quelle: https://www.festpark.de/folio/150-eine-kleine-geschichte-vom-fischer

Ein Tag im Tempel

Weltweit praktizieren über 27 Millionen Menschen die Sikh-Religion, auch Sikhismus genannt. Sie ist damit die fünftgrößte Weltreligion nach Christentum, Islam, Buddhismus und Hinduismus. Die Mehrzahl der Sikh-Anhänger lebt in Indien. Aufgrund der hohen Anzahl indischer Einwanderer in Großbritannien, ist auch dort die Sikh-Gemeinde auffallend groß. Der erste Sikh-Tempel wurde hier 1911 errichtet, der letzten Volkszählung zufolge leben ca. 420.000 Anhängerinnen und Anhänger dieser Religion in England.

Da ich selbst während meines Studiums in London in einem indisch geprägten Stadtteil lebte, nutzte ich diesen Umstand, um mir die Sikh-Religion und -lebensweise näher anzuschauen. Über mehrere Ecken lernte ich Menschen kennen, die der Religion angehören. Überraschend fand ich mich in einem großen Sikh-Tempel wieder, in dem ich sehr herzlich und gastfreundlich empfangen wurde. Selten habe ich mich so anders und dennoch so wohl gefühlt. Ich danke allen, die mir gestattet haben, sie zu fotografieren und mir Einblick gewährt haben in diese friedliche Religion und ihre Gebetspraxis.