Poesie

After the storm

Haiku of the day

A flower
Blooming
While fading away

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Stopover in Paris Haiku

A man on a piano
Playing the song of my heart
Drowning in noise

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Haiku of the day

A French castle covered in fog
A taxi to take us back to a different life
A memory to keep forever

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72 Arbeitskräfte

Wem kannst du für die Schuhe danken, die du trägst? Wem für das Essen, das du isst? Wem für deine Gesundheit? Wem für dein Wissen? Wer hat dich dort hingebracht, wo du bist? Hier und jetzt? Du selbst? Natürlich. Aber wer noch?

Der buddhistische Meister Naropa, der im 11. Jahrhundert lebte, sagte einmal:

72 labours brought us this food.
We should know how it comes to us.
(72 Arbeitskräfte brachten uns das Essen.
Wir sollten wissen, wo es herkommt.)

Wen meint er damit? Er meint jede einzelne Person, die dafür verantwortlich ist, dass wir etwas zu essen haben: Diejenigen, die Reis anbauen; diejenigen, die ihn ernten; diejenigen, die ihn transportieren; diejenigen, die ihn kaufen und so weiter und so weiter. Wir alle sind nicht wir ohne die Hilfe anderer. Wir alle existieren nur durch Verbindung zu anderen. Wir alle brauchen einander.

Ich habe Naropas Zitat zum Anlass genommen, in mich zu gehen und aufzuschreiben, wer mich in eine bestimmte Situation gebracht hat. Ich habe dabei als Ausgangspunkt die bisher größte Krise meines Lebens gewählt. Wobei Krise hier für Wendung und Entscheidung steht. Für den Wechsel zwischen Alt und Neu, ein Pendeln zwischen eingefahrenen Strukturen und Hoffnung auf ein neues Leben. Und in meinem Fall für Erschöpfung, Leere und eine Reise nach Innen.

 

Wer brachte mich hierher?

Das Alte

Diejenige, die sagte: „Sie brauchen ein Floß, damit Sie nicht ertrinken.“

Derjenige, der eine bipolare Störung hat und dem ich nicht mehr helfen konnte.

Diejenige, die sagte: „Wenn du noch einmal krank wirst, musst du dir was anderes suchen.“

Derjenige, der nicht aufhören wollte zu reden.

Diejenige, die immer nur Probleme hatte.

Derjenige, der meinte, ein großes Herz sei ein Schatz.

Diejenige, die Arbeit vermitteln sollte und stattdessen sagte: „Ruhen Sie sich aus!“

Derjenige, der sagte: „Ich kann Sie nicht krankschreiben. Sie müssen kündigen.“

Diejenige, die mehr verstand als ich.

Derjenige, der sagte: „Der Geist ist wie ein wildes Pferd, das wir nicht zähmen können.“

Diejenige, die mir riet, mich an einen chinesischen Arzt zu wenden.

Derjenige, der nichts zu sagen wusste.

Diejenige, die sagte: „Wir haben da einen Sozialplatz.“

Derjenige, der mir 8 Wochen im Wald schenkte.

Diejenige, die nicht aufgeben wollte.

 

Das Mittendrin

Diejenige, die sagte: „Sie haben keinen Burnout. Nur ein beschissenes Leben.“

Derjenige, der mir „Was geeeeeeht?“ auf einen kleinen Zettel druckte.

Diejenigen, die die dunkelste Nacht und das schimmerste Gold kennt.

Derjenige, der sagte: „Sie brauchen ein Stärketier.“

Diejenige, die mich umarmen will, wenn ich wiederkomme.

Derjenige, der das Qi in die Schale tropfen lässt.

Diejenige, die mir hinterherrief: „Entschleunigen Sie!“, wenn ich zu schnell war.

Derjenige, der von Energiebohnen und -erbsen sprach und der gar nicht gern umarmt wird.

Derjenige, der so ganz anders war als ich.

Diejenige, die noch mehr quasselte als ich.

Derjenige, der sagte: „Ich bin so froh, dass du hier bist.“

Diejenige, die sich das Leben nahm.

Derjenige, der Narzisst war und den ich trotzdem liebte.

Diejenige, die so unfassbar sensibel war.

Diejenige, die sagte: „Ich kann dich nicht besuchen. Du schaffst das allein!“

Derjenige, der kam und nur von sich erzählte.

Derjenige, der sagte: „Du kannst keine Hilfe erwarten.“

Diejenige, die anrief, als ich sie brauchte.

Derjenige, der zuhörte.

Diejenige, die schrieb: „Du kannst mich jederzeit erreichen“ und nie erreichbar war.

Derjenige, der meinen Laptop reparierte, als ich weg war.

Diejenige, die keine Postkarte schrieb.

Derjenige, der wie mein Bruder heißt und immer nett grüßte.

Diejenige, die einen Glücksengel schickte.

Derjenige, der immer wieder Postkarten schrieb.

Diejenige, die Metaphern vom Schnee und den Bergen liebte.

Derjenige, dessen „Na, Frau Neumann?“ mir so manchen Tag rettete.

Diejenige, die die schönsten Haare und die längsten Beine hat und so unfassbar cool ist.

Derjenige, sagte: „Kommst du mit zur Pfütze?“

Diejenige, die nicht aufgeben wollte.

 

Das Neue

Derjenige, der nie ein Freund war.

Diejenige, die sich selbst nicht liebt.

Derjenige, der meint, ich würde von ihm reden, wenn ich schwierige Freunde erwähne.

Diejenige, die sagt: „Du machst mein Leben reicher!“

Derjenige, der mir 10 Euro an der Supermarktkasse schenkt, weil ich ein gutes Herz habe.

Diejenige, der ich ausweiche und die lachend sagt: „Nächstes Mal mache ich Ihnen Platz!“

Derjenige, der Gedichte schickt.

Diejenige, die sich jede Woche auf mich freut.

Derjenige, der mir Schmetterlingschwimmen beibringt.

Diejenige, die sagt: „Ich liebe dich, Angie!“

Derjenige, der mich bei einem Schreibseminar unterstützt.

Diejenige, die mir die Wahrheit sagt.

Derjenige, der Polizist und buddhistischer Mönch ist.

Diejenige, die ihren Weg gefunden hat.

Derjenige, der sensibler ist, als er denkt und den ich nie verlieren möchte.

Diejenige, die nicht aufgeben wollte.