Stop. Look. Go.

Ein Halbjahresrückblick

Oh oh. In weniger als sechs Monaten ist Weihnachten. Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber an mir sind die letzten sechs Monate trotz bewusster Entschleunigung nur so vorbeigerauscht. Ist aber nicht schlimm, weil die Zeit zwar intensiv, aber dafür auch wahnsinnig spannend war. Dennoch liegt es mir am Herzen, zumindest einen kurzen Moment inne zu halten, bevor es mit Volldampf in die zweite Jahreshälfte geht.

In meinem Kalender stehen drei weise Worte: STOP – LOOK – GO. Kennen wir alle vom Straßeüberqueren. Nichts Besonderes mag man denken. Anhalten, gucken, losgehen. Kinderspiel. Dennoch machen wir genau das viel zu selten. Jeden Tag überqueren wir vielbefahrene Straßen – im übertragenen Sinn. Das Leben rauscht mal an uns vorbei und mal mit uns von einem Punkt zum anderen. Bei der Arbeit stehen wir unter Zeitdruck, den Feierabend haben wir durchgeplant und im Urlaub machen wir am besten einen Roadtrip mit täglich wechselnden Aktivitäten und Zielen. Unser Leben ist hoch getaktet. Und das liegt sowohl an uns als Individuen als auch an den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.

London

Anhalten liegt den meisten von uns nicht. Erst wenn ein großes Hindernis uns den Weg versperrt, wir krank oder unglücklich werden oder uns ein Schicksalsschlag umwirft, merken wir: Jetzt ist mal Pause. Weise Menschen meinen: „Scheue dich nicht davor, langsam zu gehen. Scheue dich nur davor, stehen zu bleiben!“ Ich bin da anderer Meinung. Ich halte stehenbleiben für lebensnotwendig. „Auch die Pause gehört zur Musik“, ein Zitat von Stefan Zweig, finde ich wesentlich hilfreicher.

Und genau deswegen möchte ich euch dazu ermutigen, die Mitte des Jahres zu nutzen, um stehen zu bleiben – einen kleinen Moment – und zurückzublicken auf die vergangenen sechs Monate. Und nach vorne zu schauen auf die kommenden Monate. Und dabei wieder das Hier und Jetzt, eure eigene, goldene Mitte zu finden, durchzuatmen und euch bewusst zu werden, was wirklich wichtig ist für euch – nur für euch!

Vielleicht helfen euch die folgenden Fragen. Ich selbst habe es als sehr erhellend und befreiend empfunden, mir gemütlich und in Ruhe Antworten zu überlegen und diese aufzuschreiben. Los geht’s passend zum Juli, dem Monat der Sonne und Wärme, mit Fragen zur goldenen Mitte:

  • In welchen Situationen in den letzten sechs Monaten hattest du das Gefühl, ganz in deiner Mitte angekommen zu sein?
  • Mit welchen Menschen hast du dich besonders wohl gefühlt?
  • In welcher Umgebung fühlst du dich angekommen/wohl/zuhause? In welcher Umgebung ruhst du in dir?
  • Was war in den letzten sechs Monaten das Gold/der Schatz in deinem Leben?
  • Auf was oder wen möchtest du nicht verzichten?
  • Hattest du Ziele für dieses Jahr? Wenn ja: Welche und hast du diese schon verwirklichen können?
  • Was waren die größten Herausforderungen der letzten sechs Monate?
  • Was waren deine größten Erfolge?
  • Wofür bist du besonders dankbar?

Und nun zum Ausblick:

  • Was oder wen möchtest du loslassen? Falls es dir schwerfällt: Was hält dich an der Sache oder Person?
  • Was wolltest du schon immer mal machen?
  • In welchen Bereichen möchtest du dich verändern? Hast du schon konkrete Pläne, wie du die Veränderung umsetzen kannst?
  • Mit welchen Menschen möchtest du mehr Zeit verbringen?
  • Welche Orte möchtest du besuchen?
  • Was möchtest du bis zum Ende des Jahres erreicht haben?
  • Welche Herausforderungen erwartest du und wie möchtest du mit diesen umgehen?
  • Wie könntest du dich mehr um dich kümmern, Stress entgegenwirken und freundlicher mit dir selbst sein?
  • Was ist dein größter Wunsch für 2018?

So. Ich hoffe, euch helfen diese Fragen beim Sortieren und Durchatmen. Ich wünsche einen guten Start in die zweite Jahreshälfte!

 

„Es soll sich regen, schaffend handeln,

Erst sich gestalten, dann verwandeln;

Nur scheinbar steht’s Momente still.

Das Ew’ge regt sich fort in allen:

Denn alles muß in Nichts zerfallen,

Wenn es im Sein beharren will.“

Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)

 

 

Empört euch – aber hört auf zu jammern!

So, nu werd ich auch ma politisch. Wir sind also ein „Armes Deutschland“. Das meint mittlerweile nicht mehr nur RTLII. Auch öffentliche-rechtliche Leitmedien (oder Leidmedien?) erzählen uns, wie fürchterlich schlimm das Leben in Deutschland sein kann. Und sie haben Recht: Es gibt Altersarmut, es fehlen Kitaplätze, nicht jedes Studium ist jedem zugänglich, das Gesundheitssystem kränkelt an allen Ecken und Enden, die Kluft zwischen Arm und Reich wird größer usw. ABER wer dieses Land verlassen hat und sich mit offenen Augen angeschaut hat, was um uns herum auf der Welt passiert, wird erkennen: uns geht es verdammt gut!

Natürlich ist es wichtig, Missstände zu erkennen, sich zu engagieren und die Welt ein Stückchen besser zu machen. Dazu gehören auch Kritik und Wut und Unwohlsein und Empörung und ein Gefühl für Ungerechtigkeit. Aber ich halte es für genauso wichtig, auch das Gute zu sehen.

Deutschland diskutiert über Glasfaserkabel, während Millionen Menschen auf der Welt verhungern oder verdursten. Wir sind eines der reichsten Länder der Welt, haben Strom und Wasser und Jobs für (fast) alle. Wir dürfen und können zur Schule gehen und wenn wir clever genug sind, auch zur Uni. Wir sind krankenversichert, haben beleuchtete und befestigte Straßen und haben die Möglichkeit, Hilfe von Psychotherapeuten anzunehmen.

Ich habe in einigen Ländern gelebt und kann mit Sicherheit sagen: In keinem dieser Länder war das Leben so gut wie in Deutschland. In Südfrankreich hat mich die Arbeitslosigkeit erdrückt, in England hatten wir keine Zentralheizung, in Österreich ist Psychotherapie kostenpflichtig, in Australien werden Zahnbehandlungen nicht von den Kassen bezahlt und über Ruanda wollen wir gar nicht reden…

Wir Deutschen haben das Nörgeln gepachtet. In Bayern gibt es sogar Radiosendungen nur über das Granteln. Als Teeny hätte ich gesagt: „Da kann ich gar nicht so viel essen, wie ich kotzen könnte!“ Es muss doch auch mal gut sein mit jammern. Ich weiß, wir haben das jahrelang so gemacht. Uns immer darauf konzentriert, was uns fehlt. Es ging um ständige Optimierung. Alles muss immer besser werden: Der Lebenslauf, der Job, die Gesundheit, der Körper, die Beziehung, die Politik, das System, das Land. Aber glaubt mir: Glücklicher werden wir alle nur, wenn wir auch mal in die Ferne schauen und sagen können: Es ist gut so, wie es ist.