Hochsensibilität als Herausforderung und Chance
Du fühlst dich in großen Menschenmassen unwohl? Du spürst, wenn dein Gegenüber nicht aufrichtig ist? Du bist besonders geräusch- oder geruchsempfindlich? Deine Mitmenschen nennen dich „Sensibelchen“ oder finden dich kompliziert? Du leidest, wenn andere leiden? Dann könnte es sein, dass du hochsensibel bist.
Doch was bedeutet Hochsensibilität? Zunächst ist klarzustellen: Es handelt sich dabei nicht um eine psychische Störung und erst recht nicht um eine Krankheit. Experten bezeichnen das Phänomen als besondere Art der Reizverarbeitung, als Persönlichkeitsmerkmal. Betroffene nehmen Sinnesreize stärker wahr und verarbeiten diese tiefer als der Durchschnitt der Bevölkerung.
Die amerikanische Psychologin Elaine Aron näherte sich in den 1990er Jahren erstmals dem Thema Hochsensibilität mittels Fragebögen. 1996 veröffentlichte sie ihre Forschungsergebnisse in dem Buch „The Highly Sensitive Person“ (Abkürzung: HSP, dt.: Die hochsensible Person). Das Fachbuch wurde in 70 Sprachen übersetzt und gilt als Standardwerk zu diesem Thema. Aron ist davon überzeugt, dass rund 20 Prozent der Menschheit empfindsamer sind als der Rest. Rund 30 Prozent seien davon extrovertiert, der Rest in der Regel eher introvertiert.
Positives Umfeld ist wichtig
Hochsensibilität ist zwar keine psychische Erkrankung, so Elaine Aron. Das bedeute jedoch nicht, dass hochsensible Menschen immer seelisch gesund seien. Die intensive Wahrnehmung der Außenwelt könne durchaus zu psychischen Belastungen oder sogar zu Erkrankungen führen. Während hochsensiblen Menschen ein positives Umfeld ungleich besser tue als anderen, schade ihnen ein negatives, kräftezehrendes Umfeld wesentlich mehr als anderen Menschen, so die Psychologin. So sei es nicht verwunderlich, dass die Energievorräte von überdurchschnittlich sensiblen Personen schneller aufgebraucht seien und sie sich schneller müde und überreizt fühlten.
Doch Hochsensibilität hat auch Vorteile. Hochsensible Menschen sind in der Regel nicht nur wacher und empathischer, sondern analysieren sich und ihre Umwelt sehr genau. Sie sind außerdem gut darin, vernetzt zu denken, kreativ zu arbeiten und neue Lösungsstrategien und Geschäftsfelder zu entdecken. Aron zufolge falle es vor allem Männern häufig schwer, zu Ihrer Sensibilität zu stehen. Dabei seien gerade die Fähigkeiten von Hochsensiblen in unserer Gesellschaft so dringend von Nöten, vor allem in Führungsposition.
Besonders oft seien Hochsensible in Medienberufen vertreten. Hier finde man laut Aron vermehrt die so genannten High-Sensation-Seekers: Menschen, die ständig nach Sensationen und Abenteuern suchen. Zwar seien Hochsensible nicht unbedingt risikofreudiger als der Durchschnitt der Bevölkerung, doch langweilten sie sich schneller, schauten Filme nicht gern zweimal und ärgerten sich eher über oberflächliche Gespräche. So balancieren sie ständig auf einem schmalen Grad zwischen Langeweile und Reizüberflutung.
Drei Arten der Hochsensibilität
Besondere Sensibilität kann sich sehr unterschiedlich äußern. Fachleute unterscheiden zwischen drei Formen: der sensorischen, der emotionalen und der kognitiven Hochsensibilität.
Sensorisch hochsensible Menschen besitzen eine besonders feine Sinneswahrnehmung, nehmen beispielsweise Töne, Gerüche und Geschmacksrichtungen besonders intensiv wahr. Diese Eigenschaft kann jedoch auch leicht zu Reizüberflutung führen.
Emotional hochsensible Menschen reagieren besonders auf Feinheiten im zwischenmenschlichen Bereich und verfügen über große Empathie. Sie sind häufig sehr mitfühlend, hilfsbereit und können aufmerksam zuhören. Oft reagieren sie stärker auf nonverbale Kommunikation als auf verbale. Ihr feines Einfühlungsvermögen kann aber auch mit sich bringen, dass sie die Stimmungen ihrer Mitmenschen ungefiltert aufnehmen und sich von diesen überfordert fühlen.
Kognitiv hochsensible Menschen können komplexe Zusammenhänge besonders gut erkennen und sind zu multiperspektivischem Denken fähig. Sie haben ein starkes Gefühl für Werte und für „Wahr oder Falsch“. Sie neigen zu Perfektionismus und geraten oft in Schwierigkeiten, wenn ihr komplexes Denken ihren Alltag – vor allem im Berufsleben – erschwert.
Viele Hochsensible fühlen sich erleichtert, wenn sie herausfinden, dass sie selbst auf einem oder mehreren dieser Gebiete intensiver empfinden als der Durchschnitt der Bevölkerung. Sich seiner eigenen Persönlichkeit bewusst zu werden und die Hochsensibilität zu benennen, hilft vielen dabei, Grenzen klarer zu setzen und ein gesünderes, glücklicheres Leben zu führen. So kann Hochsensibilität als Geschenk angenommen werden.
Weitere Infos findet ihr hier:
http://www.hochsensibel-test.de/
http://www.psychologie-heute.de/selbsttest
http://www.sueddeutsche.de/leben/hochsensibel-leben-ohne-filter-im-kopf-1.3768484
https://www.elephantjournal.com/2015/06/traits-of-an-empath-how-to-recognise-one/
https://www.zeit.de/community/2014-08/hochsensibel-empfindsam-erfahrung
Parlow, Georg (2015): Zart besaitet: Selbstverständnis, Selbstachtung und Selbsthilfe für hochsensible Menschen. 4. Auflage. Festland Verlag.
Rohleder, Luca (2017): Die Berufung für Hochsensible: Die Gratwanderung zwischen Genialität und Zusammenbruch. 4. Auflage. Dielus Edition.